„Führung ist Kontaktsport.“

Interview mit Oliver Haas über die 2. Leadership Expedition zum Thema „Hello KI! -Goodbye Menschlichkeit“?

Hallo Oliver, wie bist du eigentlich zur Leadership Expedition gekommen?

Anja Schlenk vom LMC hat mich mit einer Idee angefixt: Wie kann es gelingen, Führungsthemen anders, direkter, persönlicher besprechbar und greifbar zu machen. Wie kann man kleine Reisen in teilweise unbekanntes Führungs-Terrain organisieren?
So entstand die Idee der Leadership Expedition: nicht unbedingt gucken, was im Silicon Valley passiert, sondern auf echte Begegnung fokussieren. Nicht anonymen US-amerikanischen Führungs-Modellen und -approaches hinterherlaufen, sondern gucken: Wo passiert gute Führung schon heute in unmittelbarer Nähe? Dabei hat mich ein Gedanke geleitet: Lust auf Führung wecken, auf diese Rolle innerhalb der Organisationen – durch inspirierende, anregende, aber auch tiefgehende Befassung mit führungsrelevanten Themen.
Wir fanden und finden es sehr relevant, Menschen in Führungsverantwortung zusammen zu bringen und einen Dialog anzufeuern. Dialog heißt ja: Ich sehe dich und du siehst mich.
Führung ist nun mal Kontaktsport. Sehr menschlich. Dafür muss man sich echt und live treffen.

Was ist deine Rolle bei den Expeditionen?

Ich bin eine Art Reiseleitung. Ich führe und begleite durch den Tag, achte darauf, dass die Reise einen Spannungsbogen hat und habe die Gruppe im Blick. Wie ein Reiseleiter achte ich darauf, wo, bei welchem Thema steigen wir mal aus und steigen tiefer ein? Wir halten da an, wo wir glauben, dass es Sinn macht anzuhalten, ins Gespräch zu kommen, tiefer zu bohren, zu fragen: Was braucht es, um Denkimpulse zu geben, die idealerweise ein anderes Handeln anregen?
Konkreter: Wie lief die Expedition zum Thema KI/Menschlichkeit?
Die Expedition beinhaltet ja schon im Titel eine Spannung.

Wir haben das Thema der Paradoxien, der Widersprüchlichkeiten als Input vorangestellt, denn KI und Menschlichkeit stehen nicht im Versus gegenüber, sondern im sowohl-als-auch. Konkret heißt das zu erspüren: Wo hat KI ihre Stärken, wo ist echte Menschlichkeit unbedingt nötig?
Wir haben die Teilnehmer:innen zum Thema Paradoxien ins Gespräch gebracht: Wie erleben sie Paradoxien und den Umgang damit in ihren Organisationen? Werden diese überhaupt als solche erkannt und wenn ja, was sind typische Handlungsmuster im Umgang damit?

Nach einer Aufstellung zum Thema KI setzte dann Lena-Sophie Müller, Direktorin der Initiative D 21 und Mitglied im Beirat „Junge Digitale Wirtschaft“ der Bundesregierung, mit einem fachlichen Input einen inhaltlichen KI-Anker. Auch da war wieder wichtig: den Input-Inhalt nicht nur konsumieren, sondern wahrnehmen, kommen lassen, danach in kleinen Gesprächsrunden nachschwingen lassen: „Was heißt das wirklich für mich? Was habe ich verstanden?“ Tiefe im Thema entwickeln und Neugier für das Neue schaffen.

Und am zweiten Tag?

Da sind wir sozusagen total menschlich eingestiegen. Mit einer Eyegazing-Übung, das war kaltes Wasser für viele, ein intensiver Moment der Irritation: In Verbundenheit zu gehen mit Menschen, denen ich noch nie in die Augen geschaut habe…
Wenn man dafür Zeit und Raum gibt – und das machen wir –, kommt es fast automatisch zu schonungslosen, offenen, sehr bewegenden Gesprächs- und Verknüpfungsmomenten.
Die Umarmungsdichte auf dieser Expedition war sehr hoch.

Was ist das Besondere an der Leadership Expedition? Warum sollte man sich als Führungskraft dafür Zeit nehmen?

Die Expedition ist ganz anders als andere Führungskraft-Entwicklungsformate, würde ich sagen.
Ein kleines, im besten Sinne intimes Format. Mit einem überschaubaren, wirklich an Anderem interessierten Teilnehmerkreis. Wo echte Beziehungen entstehen und sich entwickeln.
Das hat a) mit den Personen zu tun, die kommen. Sie haben alle eine Verbindung zum Liz Mohn Center der Bertelsmann Stiftung, es sind besondere Persönlichkeiten. Und b) mit dem eher atypischen Konzept und Design des Events. Was wir machen, macht man eben nicht einer typischen Massenveranstaltung. Bei uns ist sehr wichtig: Welche Resonanz entsteht in der Gruppe und bei Einzelnen? Und wir nehmen uns die Zeit, darauf dann einzugehen, zu reagieren. Das ist auch für uns als Begleiter immer sehr inspirierend.

Gibt es auch ganz pragmatische Elemente?

Es gibt immer das Element „kollegiale Beratung“. Da geht es um Cases aus dem Berufsalltag, um Herausforderungen, denen sich Führungskräfte täglich stellen müssen. Man kann als Einzeln*r die Intelligenz der Gruppe nutzen, sich das geballte Expertenwissen im Raum zunutze machen. Oft entstehen so konkrete Lösungen, mit denen man als Führungskraft in seine Organisation zurückgehen kann und sie Schritt für Schritt umsetzen kann.

Gab es einen Moment, der besonders bemerkenswert war, der dir die Augen, das Hirn oder das Herz geöffnet hat oder alles zusammen?

Das war der Vortrag des wirklich sehr charismatischen Opern- und Theaterregisseurs Peter Sellars, der uns allen eindrücklich deutlich machte: „Wir sind nur für eine begrenzte Zeit hier. Wir nehmen das mit, was uns gegeben wurde von unseren Vorvätern und Vormüttern. Und wir sollten dafür sorgen, dass unsere Nachkommen auch eine lebenswerte Zeit auf Erden haben.“ Das war eine unglaublich starke und berührende Rede. Besonders für einen Teilnehmer, der nicht nur gerade Vater wird, sondern sich auch beruflich neu orientiert. Er meinte: „Das war die wichtigste Rede meines Lebens.“

Womit hast du bei der Expedition nicht gerechnet?

Wir haben eine kleine KI-Aufstellung gemacht zur Frage: „Glaubst du, dass eine KI dich in deiner beruflichen Rolle in den nächsten 3 Jahren ersetzen kann?“ Die meisten Teilnehmer:innen stellten sich nämlich auf die eine Seite: „Nein, mir wird das nicht passieren.“ Nur ein Teilnehmer stand auf der anderen Seite und meinte: „In drei Jahren werden viele Dinge, die ich heute mache, ganz anders oder ersetzt sein.“
Mich hat total überrascht, dass das eine Einzelposition in der Gruppe war. Denn auch ich glaube, dass zu viele von uns immer noch glauben: „KI ist etwas, das vor allem andere betrifft. Das ist eher Zukunftsmusik.“
Wir haben noch nicht verstanden, was schon lange da ist und was es mit uns in unseren beruflichen Kontexten und Rollen macht. Wir werden uns in zwei, drei Jahren wundern – und vielleicht auf diesen Moment zurückkommen.

Vielleicht braucht es weitere Leadership Expeditionen in diese Richtung.

Oh ja, unbedingt.

Fasse zum Schluss bitte mal die Leadership Expedition in 3 Begriffen zusammen:

Anregend. Aufregend. Ansprechend.

Oliver Haas ist Organisations-und Managementberater bei der osb international am Standort in Wien. Seine Spezialität: Unternehmen, Organisationen und Personen bei Veränderungsanpassungen und Transformationsprozessen begleiten. Er ist außerdem Herausgeber der Zeitschrift Organisationsentwicklung (ZOE), lehrt an der European Business School in Reutlingen und ist Autor zahlreicher Bücher und Fachartikel im Themenkreis Transformation, Change Management und Führung.